Kintsugi - zerbrochenes mit Gold flicken
Nichts im Leben ist für immer, alles ist im Wandel. Diese alte Weisheit musste der Legende nach im 15. Jahrhundert auch der japanische Shogun Ashikaga Yoshimasa erfahren. Auf einem seiner vielen Gefechte zerbrach sein geliebter Chawan. Diese Teeschale ist ein fester Teil der japanischen Teezeremonie - ein wichtiges Ritual, welches gerade bei widrigen Bedingungen als Quelle für einen gesunden Geist unerlässlich ist. Als der Krieg vorbei war, brachte er die Scherben zur Reparatur nach China und war vor dem Ergebnis schwer enttäuscht. Die chinesischen Keramiker hatten seine Teeschale mit Metallklammern repariert, er hatte auf etwas gehofft, was weniger invasiv ist. In Japan regte er bei den keramischen Kunsthandwerkern an, dass sie sich eine Methode ausdenken, seinen Chawan ästhetisch ansprechend zu reparieren. Da der Shogun bekannt war als eine ruhmreiche Person, der die Grenzen erbittert verteidigte, war das Reparieren der Teeschale für die Töpfer umso verzwickter. Sie experimentierten und nach langem, wahrscheinlich auch um den Ruf ihrer Zunft fürchtend, gelang ihnen der Durchbruch. Sie verwendeten zum Kleben Urushi-Lack und betteten im Falle des Shoguns natürlich Goldstaub mit in den Klebstoff. Dieser war hocherfreut, dass er seinen Chawan wieder verwenden konnte ohne sich abgestoßen zu fühlen und für die Kunsthandwerker ging es ebenfalls gut aus: Ihr Ruf sowie Ansehen blieb gewahrt und sie hatten einen neue Technik kreiert: Das Kintsugi.
Wabi-Sabi oder die Schönheit am Makel
Im historischen Japan entwickelte sich im 15. Jahrhundert ein neues Prinzip im Zen-Buddhismus: Das Wabi Sabi. Die Schlichtheit sowie Einfachheit der Natur und die der Natur nachempfundenen Gegenständen Rückten in den Vordergrund. Wabi-Sabi kann als Entsprechung zur Ersten der vier edlen Wahrheiten (Dukkha) des Buddhismus, aufgefasst werden. Die wirkliche Schönheit liegt dem Wabi-Sabi zufolge nicht offensichtlich zu Tage, sondern erscheint im Verborgenen und erschließt sich erst durch die nähere Betrachtung. Dazu gehören auch sichtbare Fehler wie Risse und Kratzer sowie Unebenheiten. Diese werden in der Richtung des Buddhismus besonders geschätzt und hervorgehoben. Da passt das Kintsugi mit seinen markanten und charakteristischen goldenen Linien hervorragend rein. Es wirkt fast, als ziehen sich goldene Wurzeln wie Lebensadern durch die Keramik, ein Glücksfall!
Anfangs traf dieser Arm des Buddhismus bei den reichen Japanern auf Widerstand, schließlich nutzten sie die Teezeremonie traditionell zur Vorführung ihres Luxus. Die vermeintlich kaputten Teeschalen erfreuten sich bei den Teemeistern jedoch sehr großer Beliebtheit und so kam es, dass Kintsugi wie auch die Raku-Keramik im Laufe der Zeit zum japanischen Kulturgut wurde und aus der Wabi-Sabi-Ästhetik nicht mehr weg zu denken ist.
Der Riss gehört dazu
Der Riss ist ein wichtiger Teil der des keramischen Objekts, er ist Teil seiner Geschichte. Es ist nicht anderes als beim Menschen: Narben und Falten gehören zum Leben und sind der Beweis für ein gelebtes Leben. Kintsugi knüpft an dieser Stelle an und blickt damit auf eine mehr als 500 Jahre alte Geschichte zurück. Die reparierten Objekte sind nach der Reparatur wertvoller als zuvor, stelle man sich nur die Arbeitsstunden der Puzzlearbeit vor. Gleichfalls wird ein waches Auge benötigt, dass keine falschen Teile zusammengeklebt werden. Aber gerade im Falle unseres Shoguns ist ein Faktor besonders hervorstechend: Einst verloren geglaubtes wird wieder nutzbar. Diese Freude ist jedem bekannt und bei alten und vergänglichen Dingen ist sie besonders hoch, wenn einem ein kleiner Aufschub gewährt wird. Das japanische Kintsugi lässt sich als Resilienz verstehen - kleben gehört zum Leben und auch das Fehler passieren können. Die Wertschätzung dieser reparierten Keramiken geht sogar so weit, dass Stücke extra zerbrochen werden um sie mit der Kintsugi-Technik reparieren zu können. Denn nur mit Kintsugi erhält man ein einzigartiges Stück Handwerkskunst par excellence. Um die zerbrochenen Keramiken wieder ihrem ursprünglichen Nutzen und Zustand zuzuführen, werden die Scherben beim Kintsugi mit Klebstoff, dem Urushi-Lack, wieder zusammen gefügt.
Der Urushi-Lack
Im umgangssprachlichen heißt dieser Lack auch China-Lack und es handelt sich dabei um den Wundsaft des Lackbaumes (Rhus verniciflua) der in Asien seit circa dreitausend Jahren zur Herstellung von Lack verwendet wird. Dieses Kunsthandwerk hat in China und Japan eine lange Tradition. Dabei wird in mehreren Schichten farbiges Urushi absolut staubfrei bei hoher Luftfeuchte und in etwa 30 °C aufgetragen.
Es entstehen auf diesem Wege bezaubernde Kunsthandwerksschätze wie Kyūdō-Bögen und die Scheiden japanischer Schwerter sowie Rüstungen (Yoroi). Aber auch Gegenstände des täglichen Gebrauchs wie Schalen, Essstäbchen, Tabletts und Möbel werden mit Urushi-Lack behandelt, denn die Beschichtung hat einen Glanz und Tiefe, die weder mit Schellackpolitur noch mit modernen Kunstharzlacken erreicht werden kann. Die Auf die Idee, diesen als Klebstoff zu verwenden kamen aber die Töpfer im 15. Jahrhundert. Der Lack hat überraschend vielfältige Eigenschaften.
Er ist, einmal getrocknet, beständig gegen Wasser, Alkohol, Lösemittel und Säuren, dauerelastisch und lebensmittelecht. Gleichfalls verhindert er das Wachstum von Schimmelpilzen. Für Kintsugi ist er aufgrund dessen besonders geeignet. Er hat jedoch auch Nachteile. Im flüssigen Harz sind Urushiöle enthalten und können bei Hautkontakt starke allergische Reaktionen auslösen. Diese verflüchtigen sich jedoch vollständig beim langen Trocknungsvorgang des Klebstoffs und lassen ein absolut bezauberndes Kintsugi zurück.
Upcycling seit Jahrhunderten
Frei übersetzt bedeutet Kintsugi so viel wie „mit Gold kleben“. Der Name ist Programm und wohl die erste Form des Upcyclings. In der heutigen Zeit erfreut sich Kintsugi immer größerer Beliebtheit, denn das Problem mit den Scherben besteht noch immer. Meist trifft es die alte geerbte Vase von der Großmutter oder die feinen Teetassen der Tante. All diesen Stücken, egal ob Glas, Keramik oder Porzellan lässt sich mit Kintsugi wieder Leben einhauchen und die Nagespuren des Zahns der Zeit beheben. Jedoch ist diese Technik mit den erwähnten Nachteilen verbunden und benötigt bei der traditionellen Verarbeitung zum einen Meister, der sein Handwerk versteht und dazu noch sehr viel Zeit. Das Trocknen muss absolut staubfrei erfolgen und kann bei einer einzigen Schicht mehrere Wochen dauern! Die alten japanischen Meister haben ihre Keramiken übrigens auf Flößen aufs offene Meer gezogen, denn nur dort ist es absolut Staubfrei. Der heute fürs Kintsugi verwendete Klebstoff ist dem Urushi-Lack im Aussehen sehr ähnlich, verfügt jedoch über leicht andere Eigenschaften. Damals wie heute ist der Geist des Kintsugi die Nahtstellen nicht zu verdecken, im Gegenteil. Sie werden mit verschiedensten metallischen Farben hervorgehoben und lenken den Blick auf eine völlig neue Schönheit. Denn die einst gebrochenen Stücke werden glatt zusammengefügt, fein geschmirgelt sowie geschliffen, abschließend poliert und ergeben ein neues Gesamtbild, welches dem Original in nichts nachsteht. Diese dem Zen-Buddhismus entspringende Philosophie ist gegensätzlich zu der in der westlichen Welt verbreiteten Auffassung zu Scherben und ihrer Reparatur. Sie bringen Glück und begleiten einen Polterabend aber niemand würde sein altes Geschirr reparieren und schon gar nicht mit Gold. In Asien und besonders in Japan schätzt man das Alter, das Unvollkommene, das Gebrauchte und die damit verbundene Patina von Keramik und die damit verbundenen Spuren. Kintsugi bildet die Brücke zwischen Osten und Westen denn die Ästhetik und der Gedanke der Lebensspuren die diesen Keramiken innewohnen werden universell verstanden.
Kintsugi-Meister aus Kyōto,
Yobitsugi und Makienaoshi als Erweiterung des Kintsugi
Neben dem vermeintlich einfachen zusammenfügen der zerbrochenen Keramik gibt es noch zweit weitere Techniken die auf Kintsugi beruhen und etwas Einzigartiges entstehen lassen. Bei der Yobitsugi-Reparatur wird eine (fehlende) Scherbe durch die Scherbe einer anderen Keramik ersetzt. Meist wählt man dafür eine anders gemusterte - wenn schon anders, dann doch bitte so, dass man es auch sieht. Die dritte auf Kintsugi beruhende Technik ist die Makienaoshi-Technik. Dabei werden (fehlende) Scherben gänzlich mit mehreren Schichten Ushuri-Lack ersetzt. Diese Technik wird jedoch meist verwendet, um das ursprüngliche Muster wieder herzustellen.
Die Perfektion braucht keine Schönheit und Kintsugi verdeutlicht das auf brachial eingängliche Art und Weise. Viele der heutigen Kunstwerke wären ohne Kintsugi nur Durchschnittlich. Beispielsweise der Teller mit Bambusblättern aus der Sammlung des Metropolitan Museum of Art in New York ist ohne sein goldenes Kintsugi nur ein alter Teller mit abgeschlagenen Rand. Die Geschichte der Unbeständigkeit eines Stückes lässt sich auf diese Weise ablesen. Sie zieht sich wie ein mäandernder Fluss durch die Zeit und ist der Motor, der die Entwicklung antreibt.